Was das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids für die Zukunft der Bundesregierung und Deutschlands bedeutet, steht offenbar fest. Die veröffentlichten Meinungen sagen uns nahezu einhellig den Untergang des Abendlandes voraus. Zumindest erlebt Deutschland „ein politisches Erdbeben“ (FAS), „die SPD wandelt durch eine Trümmerlandschaft“ (FAZ), laut „Tagesspiegel“ werden auf die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans schwere Erschütterungen folgen; „sie können die große Koalition zum Einsturz bringen und die deutsche Sozialdemokratie als Volkspartei zerstören.“ Die Kommunikationswissenschaftlerin Samira El Quassil nennt dieses Phänomen „Katastrophen-Kommentarismus“ und vermutet dahinter eine berufliche und professionelle Kränkung: „Hatten sie nicht davor gewarnt und das für fast unmöglich gehalten?“ Was ist passiert?
Die SPD-Mitglieder haben mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die Bewerber zu Parteivorsitzenden gewählt, die der Fortsetzung der großen Koalition kritisch gegenüber stehen. Die beiden fordern zwar nicht, dass, die SPD sich sofort aus der Regierung zurückziehen soll. Aber wenn am kommenden Wochenende in Berlin der SPD-Bundesparteitag zusammentritt, um die Halbzeitbilanz der Bundesregierung zu diskutieren, dann werden die Empfehlungen des Parteivorstandes möglicherweise anders aussehen, als wenn Olaf Scholz und Klara Geywitz gewählt worden wären.
Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart: „Zur Mitte der Legislaturperiode wird eine Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages erfolgen, inwieweit dessen Bestimmungen umgesetzt wurden oder aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben vereinbart werden müssen.“ Diese Prüfung werden die Delegierten mit großem Ernst und Verantwortungsbewusstsein vornehmen.
Und kein vernünftig denkender Mensch kann erwarten, dass es angesichts des schlechten Ansehens der Bundesregierung, der schlechten Wahlergebnisse von SPD und Union und angesichts neuer Herausforderungen ohne Veränderungen und Ergänzungen mit der Großen Koalition weiter geht – egal, wer Vorsitzender der SPD ist. Die Mitglieder haben Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als SPD-Vorsitzende nominiert. Die Delegierten werden diesen breit angelegten demokratischen Prozess würdigen und die beiden zu unseren Parteivorsitzenden wählen.
Erschienen als „Bericht aus Berlin“ in der Eckernförder Zeitung am 04.12.2019 zur Fragestellung: „Was bedeutet das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids für die Zukunft der Bundesregierung und Deutschlands?“